Hartnäckige Mythen – die Ernährung in der Schwangerschaft
„Her mit den sauren Gurken“, „bloß kein Kaffee“, „vegan – das geht ja gar nicht!“ Wenn du gerade schwanger bist, hast du bestimmt auch schon ganz viele gut gemeinte Mythen und „Weisheiten“ von allen möglichen wissenden Mitmenschen bekommen – egal, ob du sie gefragt hast oder nicht. Vielleicht macht dir das nichts aus, aber ebenso gut kann es sein, dass dich diese Vielstimmigkeit verunsichert. Deshalb klopfen wir hier die beliebtesten Mythen rund um die Ernährung in der Schwangerschaft nach ihrem Wahrheitsgehalt ab.
Kein guter Rat für die Schwangerschaft: „Viel Leber essen!“
Viel hilft viel – diese Devise aus Zeiten, in denen eine nährstoffreiche Ernährung nicht selbstverständlich war, gilt nicht für jedes Nahrungsmittel. Die Leber vom Kalb oder Rind galt lange Zeit als Nonplusultra, wenn es um die Versorgung mit vielen Vitaminen und Mineralstoffen geht – und das erst recht in der Schwangerschaft.
Doch für manche Vitamine gilt eben auch, dass die Dosis das Gift macht. Zu viel Vitamin A beispielsweise kann negative Auswirkungen haben. Eine Überdosis kann fruchtschädigend wirken, sprich: deinem Kind schaden und Fehlbildungen verursachen. Und Leber enthält neben vielen anderen Nährstoffen eine sehr hohe Konzentration an Vitamin A – ein Vielfaches der empfohlenen Tagesdosis.
Dennoch darfst du Leber in Maßen essen, wenn du ein Kind erwartest – also ca. einmal pro Monat. Du solltest aber im ersten Trimester (die ersten 12 Wochen, vor allem von der 3. bis zur 9. Woche) ganz darauf verzichten.
Mit einer ausgewogenen Ernährung ohne Leber kannst du auch deinen Bedarf an Vitamin A decken. Es kommt in Milchprodukten, Eiern, Margarine und Speiseölen vor. Der Tagesbedarf von Erwachsenen liegt bei ca. 1 mg (3.000 IE) Vitamin A. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt für werdende Mütter einen Höchstwert von 3 mg Vitamin A pro Tag.
Übrigens: Frauen, die eine schwere Akne mit Vitamin-A-Säuren bzw. Retinoiden behandeln lassen – das sind in der Regel rezeptpflichtige Salben oder Kapseln –, sollten in dieser Zeit und noch mindestens einen Monat danach streng verhüten.
Vegane Ernährung in der Schwangerschaft – mit Nahrungsergänzung möglich!
Wenn eine Veganerin schwanger wird, muss sie nicht lang auf eindringliche Warnungen bezüglich ihrer Ernährung warten. Denn vielen gilt die Ernährung gänzlich ohne tierische Produkte als mangelhaft und – im Fall einer Schwangerschaft – sogar als gefährlich für das ungeborene Kind.
Richtig ist, dass nach aktuellem Stand der Forschung Homo Sapiens – der moderne Mensch – seiner biologischen Entwicklung nach ein „Allesfresser“, also Omnivore ist, ähnlich wie die Schimpansen. Allerdings ist der moderne Mensch auch ein Kulturwesen – der Hinweis auf die Biologie und vermeintliche Natürlichkeit ignoriert, dass schon die Nutzung des Feuers zur Zubereitung von Nahrung durch unseren Vorfahren Homo Erectus vom Ernährungspfad der Primaten weggeführt hat.
Richtig ist aber auch, dass Veganerinnen in der Schwangerschaft besonderes Augenmerk auf die Versorgung mit allen wichtigen Nährstoffen legen sollten. Dazu gehören Vitamin A (siehe oben), Jod, Eisen, Vitamin B6, Folsäure (Vitamin B9) und die Omega-3-Fettsäure DHA (z. B. in Algenöl). Sie sind zwar auch durch die gezielte Auswahl von veganen Nahrungsmitteln verfügbar, sicherer ist aber die Kombination mit Nahrungsergänzungsmitteln.
Ausschließlich mit Nahrungsergänzungsmitteln hingegen ist die Versorgung mit dem Vitamin B12 zu gewährleisten, wenn du dich vegan ernährst. Denn Vitamin B12 kommt fast ausschließlich in Milchprodukten und Fleisch vor. In pflanzlichen Nahrungsmitteln sind davon nur geringe Spuren zu finden.
Veraltete Weisheit: „Allergene meiden“
Keine Frage – Allergien sind sehr verbreitet. Ungefähr 20 Prozent der Bevölkerung in Europa sind davon betroffen und reagieren auf mindestens eine Substanz allergisch. Das Umweltbundesamt schätzt, dass in Deutschland mindestens zehn Millionen Menschen sensibilisiert sind.
Die Idee ist also naheliegend, dass Schwangere den Kontakt mit so genannten allergenen Lebensmitteln vermeiden sollten, um das ungeborene Kind davor zu schützen, schon im Mutterbauch eine Allergie zu entwickeln. Studien haben allerdings ergeben, dass diese Strategie wirkungslos ist und dem Kind im Zweifel wichtige Nährstoffe vorenthält.
Die potenziellen Allergene sind zahlreich und für die Ernährung gilt ohnehin, die Vielfalt der Nahrungsmittel zu nutzen. Wer beispielsweise auf Nüsse im Speiseplan verzichtet, sollte die darin reichlich vorhandenen Nährstoffe, Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren und Vitamine wie Folsäure anders aufnehmen. Wer auf Milch verzichtet, sollte Kalzium in anderer Form zu sich nehmen.
Auch der Verzicht auf Fisch in der Schwangerschaft zur Vorsorge gegen Allergien ist unbegründet. Zwei Fischgerichte pro Woche sind sinnvoll und gesund. Dabei solltest du schon im eigenen Interesse darauf achten, welche Qualität du konsumierst. Seltener solltest du Meeresfrüchte konsumieren, die höhere Konzentrationen von Schadstoffen beinhalten können – z. B. Garnelen (Krebstiere), Muscheln und Tintenfische (Weichtiere).
Speisefische wie Seelachs, Kabeljau, Seehecht und Hering hingegen sind selten belastet. Sie sind schnellwüchsig und daher – wie auch Meeresfrüchte aus Aquakulturen – weniger mit Schwermetall belastet als große, alte Raubfische (große Thunfische, Schwertfische), die durch jahrelange Anreicherung erhöhte Schadstoffbelastungen aufweisen können.
Kaffee, Cola, Tee sind nicht tabu!
Dass Cola ungesund ist und schon wegen des vielen enthaltenen Zuckers nicht als tägliches Getränk taugt, ist bekannt. Aber sogar vor dem seltenen Genuss eines Glases Cola wegen der Schwangerschaft zu warnen, ist übertrieben. Das gilt auch für Kaffee und koffeinhaltigen Tee.
Hintergrund der Warnung waren einst Befürchtungen, dass der Konsum von Koffein den Kreislauf des Babys und dessen Wachstum beeinflusse. Das gilt allerdings für sehr hohe Dosen. Wer aber nur ein bis zwei Tassen Kaffee oder schwarzen Tee am Tag zu sich nimmt oder ein Glas Cola am Tag trinkt, hat diesbezüglich nichts zu befürchten.
Saure Gurken? Als Leibspeise Schwangerer nur eine Legende
Wenn du schwanger bist, hast du vielleicht selbst schon die Erfahrung gemacht, dass dir jetzt im Heißhunger Lebensmittelkombinationen schmecken, die du dir zuvor nicht vorstellen konntest. Das ist durchaus eine Erfahrung, die viele – aber längst nicht alle – Frauen während der Schwangerschaft machen.
Erwiesenermaßen essen schwangere Frauen im Schnitt nicht mehr saure Gurken als andere Frauen. Fakt ist aber, dass sich im Zuge der Sensibilisierung für Gerüche und des Körpergefühls auch oft der Geschmackssinn während der Schwangerschaft verändert. Vollends erforscht ist dieses Phänomen noch nicht. Eine Erklärung ist, dass sich im Zuge hormoneller Veränderungen ein eher süßlicher Geschmack im Mund etabliert, der dann die Lust auf Herzhaftes und Salziges besonders verstärkt.
Gegen saure Gurken ist übrigens auch in der Schwangerschaft nichts einzuwenden. Sie sind gesund (sofern sie nicht zu stark gesüßt sind) und regen die Verdauung an. Wenn du das Gurkenglas geöffnet hast, solltest du es gekühlt lagern und die Gurken in wenigen Tagen aufbrauchen, damit sich kein Schimmel bildet.
In der Schwangerschaft muss für zwei gegessen werden – stimmt nicht!
Das Körpergewicht ist für Frauen ein großes und problematisches Thema, das permanent durch mediale Einwirkung und unwahrscheinlich schöne Vorbilder genährt wird. Dem entsprechend widersprüchlich sind auch die vermeintlichen Weisheiten, wenn es um die Gewichtszunahme während der Schwangerschaft geht.
Einerseits wird beschworen, dass Schwangere ihrem Körpergefühl vertrauen und essen sollen, wonach ihnen der Sinn steht. Andererseits wird bei der Gewichtszunahme ein ziemlich rigoroses Reglement verbreitet, das sehr oft nichts mit der Realität zu tun hat, und Frauen verunsichert, die nicht in das propagierte Schema passen.
„Du isst jetzt für zwei“ ist eine oft gehörte Mahnung, die vielleicht gut gemeint ist, aber missverständlich ist. Denn als Schwangere solltest du nicht doppelt so viel essen, sondern im Zweifel doppelt so gut. Tatsache ist aber auch, dass sich in der Schwangerschaft der Kalorienbedarf erhöht und im Umfang von Körpergröße, Alter und sportlichen Aktivitäten abhängt. Auf keinen Fall solltest du durch eine Diät oder gar Hungern versuchen, deine Gewichtszunahme zu minimieren.
Zu strenge Regeln
Abgesehen von einer ausgewogenen Zusammensetzung der Nahrung aus Kohlenhydraten, Eiweiß und (möglichst pflanzlichem) Fett sollte die Versorgung mit Mikronährstoffen wie Eisen, Jod, Folsäure, Kalzium und ungesättigten Omega-3-Fettsäuren im Fokus stehen.
Bei der Gewichtszunahme wird viel mit dem sogenannten BMI (Body Mass Index) und konkreten Zahlen kommuniziert. Als mittlerer Standard gilt die Gewichtszunahme von 12 bis 16 Kilogramm. Manche Institutionen (wie z. B. Krankenkassen) verbreiten sogar strenge Ansagen an werdende Mütter, nicht mehr als zwölf Kilo zuzunehmen. Das hilft nicht, sondern verunsichert.
Denn es gibt auch Frauen, die während der problemlos verlaufenden Schwangerschaft über 25 Kilogramm zunehmen und nach der Geburt ihres Kindes die Extrapfunde im Laufe der Zeit wieder loswerden. Dein Kind zu stillen, hilft dabei genauso wie körperliche Aktivität.
Lass dich also nicht verrückt machen, wenn du und dein Körper nicht in ein strenges Schema passen und besprich das Thema Gewichtszunahme lieber mit deiner Hebamme oder deiner Ärztin bzw. deinem Arzt. Sie haben mit schwangeren Frauen mehr konkrete Erfahrung als Zahlenjongleure in irgendwelchen Amts- und Redaktionsstuben.